Dienstag, 30. Oktober 2012

Benutzeroberfläche der Politik

Eine Vision der Transparenz

daniel stricker  / pixelio.de
Aktuell ist Transparenz ein technokratisches Wort für schlichte und nackte Rohdaten bzw. deren Aufbereitung. 

Diese sollen Korruption weitgehend ausschliessen und politische Entscheidungen nachvollziehbar machen - Partizipation und Kollaboration ermöglichen.

Die Vision von Kant, dass Kriege in einer publikativen Gesellschaft unmöglich sind, scheint vergessen. 

Habermas Vorstellung von einem gesellschaftlichen Diskurs der Mündigkeit fällt völlig vom "Desktop". Nackte Transparenz ist voller Daten - aber ohne Inhalt. 

Der Transparenz fehlt die Vision.


Lern-Medien
Eklih Mmorf  / pixelio.de
In der ersten Ebene der Transparenz besteht diese aus Rohdaten, die höchstens fachlich verständlich sind, meist zusammen gesucht werden müssen. 

Da besteht (aktuell) keine Übersicht, keine intuitive Navigation durch oder Bedienbarkeit der Daten, keine Barrierearmut oder gar Barrierefreiheit (im Gegenteil: alles voller Barrieren). Diese erste Ebene der Transparenz muss mühsam aufgearbeitet und aufbereitet, verschlagwortet, allgemeinverständlich verfasst, in offene und akzeptierte Formate gewandelt und vervielfältigt sowie auf den Portalen zur Verfügung gestellt werden, die von den Bürgern jeweils anerkannt und genutzt werden.

Hinzu kommt eine dritte Ebene der Transparenz, die bereits in der akzeptierten "Verwaltungstransparenz" Anklang findet, wo es heisst: "4. Stufe: Verwaltung unterstützt den jeweiligen Bürger aktiv bei seinem Bedürfnis nach Verwaltungstransparenz und vermittelt ihm hierfür ggf. die erforderlichen Hintergrundinformationen und Fähigkeiten des Verstehens." (Wikipedia)

Die Transparenz will folglich zu einem interaktiven Lernmedium werden, das die benötigten allgemeinverständlichen Einführungen beinhaltet, um das transparent Gemachte überhaupt verstehen, einordnen und anwenden zu können.

Dies war der "Bildungsauftrag" der öffentlich-rechtlichen Medien und ich will noch nicht behaupten, dass diese vollumfänglich versagt hätten. Denn dies wird nun vielmehr zum Auftrag an die Politik, die benötigten Daten auch entsprechend transparent zur Verfügung zu stellen. Hier zeigt sich eine Schnittstelle zwischen den drei Staatsgewalten und der "Publikative", der sog. "Vierten Gewalt".


Visualisierung & Simulation


InsPirat
Eine andere Welt ist möglich - aber nicht vorstellbar. Ein paar Bilder sagen mehr als Tausende Internetseiten und Datenbanken. Die Transparenz will folglich nicht nur in irgend einem Rathaus in Timbuktu "einsehbar gehalten" werden - sondern Kraft der Bilder und des Internets bis zu mir in mein Wohnzimmer nach Hause.

Ich will die Transparenz dabei drehen und wenden, aus allen Blickwinkeln mehrdimensional betrachten und meine eigenen Vorstellungen, Änderungen hineininterpretieren und durchspielen können. Ich will sehen, was passiert, wenn ich hier ein bisschen Grundeinkommen zufüge oder dort ein bisschen die Diäten enger schnalle. Ich will die rund 50 Kriege und Bürgerkriege in unseren fast 200 anerkannten Ländern weltweit sehen und mich in die Zusammenhänge hineinklicken können - während ich mit Menschen vor Ort chatte und aufgrund des aktuellen Bedarfs eine Medikamentenspende online überweise. Über die Hilfsorganisation, der ich mit Freunden einen Karton voll Spielsachen schicke, will ich mit den Empfängern in einen direkten Kontakt gelangen können und das Kind sehen, das jetzt mit dem Teddy meiner Kindheit spielt. Dafür benötigt es nicht nur politische Transparenz, um überhaupt zu wissen wo in der Welt welcher Bedarf ist (und nicht nur einzelne Katastrophen, die ein Sommerloch der Medien ausfüllen) - ein Zusammenspiel aller ist gefragt, die sich ernsthaft um die Lösung lokaler und globaler Probleme bemühen.


SimCity2000 / Maxis
Wir haben keine "alternativlose politische Situation" - wir haben so viele Alternativen und Lösungsvorschläge zu jedem einzelnen Problem, dass genau hier das Problem liegt. Ich will diese Lösungen auf meinem Schreibtisch, genauer auf meinem Desktop und ich will diese in ihren Auswirkungen simulieren und vergleichen können. Ich will die Einflussfaktoren der Probleme unserer Welt veranschaulicht bekommen - bevor ich über meine Wahl den Lösungsweg mit entscheide.

Da die Probleme der Menschheit primär verwaltet - statt gelöst - wurden, rollt ein ganzer Problemberg verdrängter kleiner und großer Katastrophen auf uns zu. Entweder wir wagen große Schritte und Veränderungen - oder Schicksalsschläge werden uns Veränderungen aufzwingen. Veränderungen traut sich der Mensch aber nicht so einfach, vor allem wenn diese nicht vorstellbar sind. Mit Visualisierungen und Simulationen können die wichtigsten Schritte, die auf uns zukommen, vorstellbar und durchgespielt werden. Und so lange nicht alle erdenklichen Szenarien, sondern nur ein paar wenige Vorgekaute, visualisierbar und simulierbar sind, liegt hier auch ein großes Gefahrenpotential der Manipulation verborgen!


Benutzeroberfläche der Politik
Stephanie Hofschlaeger  / pixelio.de
Wo ist die "Benutzeroberfläche" der Politik? Und, bevor wir über eine leicht zu bedienende Benutzeroberfläche sprechen; was ist dann das "Betriebssystem" der Politik?

Wer ist für was verantwortlich, über welche Kanäle sind diese erreichbar und in welchem Zeitrahmen erhalte ich Antwort und die jeweils gewünschte Transparenz? 

Mit welchen Fragen und Problemen beschäftigt sich die Politik - welche Lösungen werden aufgrund welcher Einflussgrößen präferiert oder abgelehnt und vor allem: auf welche Fragen und Probleme gibt es angeblich keine Antworten und Lösungen? Denn genau hier kann die "Crowd", der von Habermas geforderte Diskurs der Öffentlichkeit, ansetzen und sich gemeinsam in die Mündigkeit einarbeiten - Lösungsvorschläge erarbeiten.

Noch nicht einmal die Rohdaten, die ein politisches Betriebssystem bräuchte, stehen transparent, maschinenlesbar und allgemeinverständlich zur Verfügung - geschweigedenn die Zusammenhänge der einzelnen Datensätze. 

Und dennoch will ich bereits vom nächsten Schritt sprechen, der mit einer Komandobrücke in einem Raumschiff verglichen werden könnte: Eine "Benutzeroberfläche der Politik", wo das Souverän als gewaltiger Auftraggeber der Politik diese nicht nur kontrollieren, sondern gemäß ihres Wählerwillens regelrecht "STEUERN" kann (und dafür ja auch "STEUERN" zahlt!). 

Natürlich muss diese Komandobrücke "open source" sein, die Daten dezentral vorliegen und in Masken aufgrund offener Schnittstellen gebündelt eingelesen und dargestellt werden können. Hier beginnt "open data", "open government", "good governance" und last but not least auch die "Transparenz" erst so richtig Sinn zu machen!


Nebeneinkünfte?

Kinderkacke! Mit was für einem "mittelalterlichen Kram" müssen wir uns hier überhaupt auseinandersetzen? Das alles lenkt doch total von den wirklichen Möglichkeiten ab, für die Transparenz ein Mittel ist - aber noch lange nicht die Lösung. Natürlich müssen Politiker ihre Nebeneinkünfte offen legen. Denn genau das fordern wir ja auch von den Ländern, denen wir angeblich Demokratie beibringen wollen (siehe UN Resolution 50/225 - „Good Governance“)!! Die Politiker unseres Landes schreien doch nur so laut auf, weil sie etwas zu verbergen haben. In anderen Ländern funktioniert das doch auch mit der Offenlegung und vor allem und wie gesagt, in der Entwicklungszusammenarbeit fordern wir dies!!


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